Unser Schiff fährt stromaufwärts und zu beiden Seiten erstreckt sich undurchdringlicher Dschungel. Unbekannte Vogelstimmen und andere Tierlaute sind dabei eine ungewohnte Geräuschkulisse. Reiher und andere Wasservögel bevölkern den Uferrand. Hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit erinnern an Saunabedingungen.
Modriger Geruch von Schlamm, faulendem Holz und absterbenden Blüten. Dazwischen zieht ab und an mal eine brandig riechende Wolke vom Rauch der zahlreichen Feuerstellen im Busch zu uns herüber.
In der starken Strömumg des Flusses treiben losgerissene Inseln aus Grasröhrich vorbei. Mangrovenwälder, dazwischen Palmen und das undurchdringliche Dickicht des Drachenbaumes begleiten uns bis Sapele. Fischer in Kanus, umgeben von Moskitoschwärmen, gehen ihrem lebensnotwendigen Tagewerk nach. Sie halten dabei immer Ausschau, daß sie nicht von einem der gefährlich schnell vorbeitreibenden Sapele-Mahagonibaumstämme gerammt werden.
Inmitten dieser urwüchsigen Natur tauchen immer wieder ärmliche Palmhütten auf, von denen aus uns auf dem vorbeifahrenden Schiff lachende Menschen zuwinken. Für uns eher befremdlich, denn bei den harten Bedingungen eine Lebensnische der unwirtlichen Natur abzuringen, hätte uns wohl das Lachen eher vergehen lassen.
Trotz aller Kriminalität, die wir in Westafrika schon damals bedingt durch Armut erlebten, haben wir die Afrikaner als lebensfrohe und kontaktfreudige Menschen kennengelernt.
Diese Aussage treffe ich, obwohl gerade wir Seeleute häufig Opfer von Diebstahl in diesem Fahrtgebiet wurden. So manche Festmacherleine verschwand auf Nimmerwiedersehen, so manche Ladung wurde beraubt bzw. Kammer geknackt. Später waren manche Häfen "no-go-Area" (Lagos z.b.).
Eine Episode fällt mir zu Sapele noch ein.
In bestimmten Fahrtgebieten war es damals üblich, dass bestimmte Personen des Gastlandes bordseitig mit verpflegt wurden. Das konnten Lotsen sein, Ladungsbegleiter (Supervisor), Wachleute oder Vorarbeiter (Lukenviez z.b.) in den Häfen. Diese bekamen landestypisches Essen, der Suez-Lotse z.b. kein Schweinefleisch, Reis für Inder/Pakistanis oder Bohnengerichte in Südamerika usw.
Für die Vorarbeiter aus den Luken hatten wir eigens auf der "Altmark" für diesen Zweck eine wettergeschützte Back(Tisch) auf der Achtern-Manöverstation installiert. Dies war unter anderem auch der meist verschmutzten Arbeitskleidung geschuldet, mit der man nicht in die saubere Messe gehörte. Diese Back wurde auch bordseitig genutzt.
Chiefmate an Steward:
"Da kommen ab heute 5 Lukenvieze zum Essen.Der Vorarbeiter heißt Anthony.Der meldet sich dann bei Dir."
Während des Ladeschehens am Vorschiffs taucht achtern am Vormittag ein besonders dunkelhäutiger Arbeiter auf und versucht beim Wachsmatrosen an der Gangway Bier zu tschinschen.
Gangwayposten an Steward:
"Hast Du Bier für Anthoney?"
Steward und meine Person nähern sich der Gesprächsrunde.
Steward auf englisch: "Du bist Anthoney?"
Antwort in gebrochenem deutsch mit deutlich norddeutschen Slang:
"Ich heiße und bin Anton."
Verdutzte Gegenfrage von uns:
"Wo hast Du die deutsche Sprache erlernt?"
Es war seinerzeit schon seltsam, mitten im Dschungel Afrikas auf einen deutsch sprechenden Einheimischen zu treffen.
"Joo, ich habe zwei Reisen an Deck auf einem Hamburger Frachter gearbeitet. Seitdem bin ich Anton."
Wir:
"Prima Anton, dann geht ja alles seinen Gang. Heute Mittag können Deine Leute hier achtern ihre Mahlzeit einnehmen."
Anton besichtigt die Gegebenheiten und trinkt genüsslich ein von uns gesponsortes Bier. Eventuell kann er uns im Gegenzug ein paar Tipps zu Sapele vermitteln, denken wir. Anton verschwindet wieder an Deck.
Mittagszeit:
Auf dem Achterdeck finden sich 4 afrikanische Vorarbeiter an der gedeckten Back ein und bekommen ihr reichhaltiges, landestypische Essen und ausreichend Getränke dazu. Normal, wie sonst in anderen Häfen auch.
Plötzlich höre ich von der Offiziersmesse her laute Stimmen, darunter laut vernehmlich die Stimme des Stewards. Der Steward versucht gerade Anton den Zugang zur Offiziersmesse zu verweigern. Ich komme ihm zur Hilfe.
"Anton, für Dich ist bei Deinen Kollegen alles mit vorbereitet. Du kannst nicht in die Messe, in Arbeitsklamotten schon garnicht. Du musst achtern mit essen."
Antons Gesichtszüge entgleisen förmlich,die Augen leuchtend in seinem dunklen Gesicht weit aufgerissen, schaut er mich entsetzt an.
Dann die Antwort:
"Du glaubst doch nicht im Ernst,dass ich mich achtern zu den "Kohlensäcken" setze."
Gemeint waren damit seine dunkelhäutigen Kollegen. Diese Antwort musste ich erstmal verdauen.
Freunde wurden wir nicht mehr. Als ich mich von seinen Kollegen, die täglich bei uns Essensgäste waren,vor dem Auslaufen verabschiedete, sagte jeder stolz auf seine von Anton erworbenen Deutschkenntnisse mit dem Brustton der Überzeugung und freudig leuchtenden Augen:
"Ich bin einer schwarzer Kohlensack!"
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