Irgendwann kam sie auf- die Partylaune. Lange war man unterwegs, tagaus- tagein, ob Sonntag oder Feiertag, verrichtete man bei jeder Wetterlage und in jeder Klimazone seine Arbeit. Eingebunden, in eine kleine Welt des Bordlebens, in der das zwangsläufige Zusammenleben auf engstem Raum eine Gemeinschaft bildete. Lange war man von der Familie getrennt und neidvoll dachte man in jungen Jahren manchmal auch an die Altersgenossen an Land, die regelmässig ins Kino, Theater, zum Fussballspiel ins Stadion oder gar in die Disco gehen konnten. Mit Fernsehen war es auch nicht so abwechslungsreich an Bord (Video war noch nicht) und nur der Kassettenrecorder mit Tonkonserve bildete einen (wichtigen) Rahmen zum Feierabend. Wir mussten also unsere Freizeitgestaltung an Bord schon selber gestalten.
Eine sehr beliebte Abwechslung war bei uns der sogenannte Lumpenball, eine Mischung aus Fasching und Kostümfest. In verständlicher Ermangelung nicht vorhandener Kostüme, war schon bei der Ausreise die Putzlappenlast einer der am häufigsten frequentierten Orte potentieller "Ballgäste". Hier wurden aus den Ballen gereinigter Wäschestücke, rechtzeitig die attraktivsten Bekleidungsstücke gesichert. Ein Betrieb wie in einem Theaterfundus. Mit viel Phantasie wurden diese Beutestücke dann im weiteren Verlauf der Reise "veredelt" und dem jeweiligen Körpervolumen angepasst- wollte man doch bei der bevorstehenden Kostümprämierung ein gewichtiges Wort mitreden.
Zu diesem Zweck wurden Helme gebastelt, ganze Rinderknochen präpariert oder übertrieben derber Wikingerschmuck hergestellt. Die Stewardessen oder Stewards entwarfen die Getränkekarten und waren auf der Jagd nach neuen Cocktailrezepten. Unsere Bordcombo "The Oldmärks" traf sich ganz verschwörerisch schon Wochen vorher, um ein neues Programm zu diesem Höhepunkt einzuüben. Den Überraschungseffekt zu wahren, sogar in der Luke oder dem Kabelgatt. Andere Besatzungsmitglieder bastelten Preise für die Tombola, der Fotozirkel bereitete den Bildpressedienst vor. Nicht zu vergessen die "Abteilung Fress", die einen abwechslungsreichen Grillabend plante und bis zu diesem Bordhöhepunkt, die eigens von den Besatzungsmitgliedern mitgebrachten Thüringer Bratwürste aus Hausschlachtung meist erfolgreich verteidigte. Ähnlich verhielt es sich mit dem letzten Fass Bier.
So fieberte jeder diesem Lumpenball entgegen, der so ca. einmal pro Rundreise, alle 3-4 Monate stattfand.
Einen passenden Termin für unser Fest zu finden, war bei der damaligen Situation in der Nordafrika- und Levantefahrt, bedingt durch vorherzusehende Reedezeiten, nicht sehr schwierig. Auf dem Oberdeck am Swimmingpool bzw. der achteren Manöverstation, wurde je nach Wetterlage, die "Festwiese" mit Flaggenschmuck und bunten Lichterketten ausgeschmückt. Schon am Nachmittag installierte der E-Mix die notwendige Elektrik und Lautsprecherboxen vor Ort. Musik schallte über Deck. Der Storekeeper und Clan bauten den Grill oder die Räuchertonne auf. Langsam zogen dann auch schon die ersten Düfte aus der achtern gelegenen Kombüse, vom frischen Brot und den Knoblauchsaucen über Deck. Fiel der Termin dieser Party auch noch auf einen besonderen Feiertag, was meist der Fall war, wurde sogar über die Toppen geflaggt.
Beginn des Grillabends war meist gegen 18 Uhr, damit die Wachgänger auch mit einbezogen werden konnten. Um 19 Uhr war dann der langersehnte Faßbieranstich. Das war damals garnicht so selbstverständlich an Bord unserer alten Dampfer. Viele freiwillige Helfer fanden sich daher, wenn es darum ging, daß gekühlte Faß aus den Tiefen des Schiffes (der Gemüselast), an Deck zu wuchten. Nach den zahlreichen Tipps zum Anstich, alle waren dann sachkundig, wurde das erste Glas wie eine Kostbarkeit gegen die Sonne gehalten. Es hätte ja, welche Katastrophe, trübe sein können. So, nun Bier ab (ausser Wachgänger natürlich) und Steaks, Spiesse und Würste rein.....
Eine Grundlage bis zur Bareröffnung musste geschaffen werden.
Gegen 20 Uhr öffnete dann, lange sehnsüchtig erwartet, die Cocktailbar. Je nach Jahreszeit, an Deck oder im Clubraum. Dann fieberte jeder dem Auftritt der "Oldmärks" entgegen, der gegen 21 Uhr erfolgte. Manch einer besonders, weil er nicht wusste, wie er als Zielscheibe pointiert-bissiger Satire, späteren Lachsalven ausgesetzt war. Aber auch das musikalische Rahmenprogramm war immer Top. Applaus und stehende Ovationen waren die Garantie für die "Künstler", daß es für sie ein billiger Barabend wurde. Der Auftritt dauerte ca. 45 Minuten und die Stimmung war dann auch auf dem Höhepunkt. Erstmal Luft holen, um das Zwerchfell zu entlasten war angesagt.
Danach erfolgte als nächster Programmpunkt meist eine amerikanische Versteigerung.
Statt Tombola war bei uns traditionell immer Versteigerung angesagt. Kam doch, durch diese Art der Versteigerung, gut Geld in die Mannschaftskasse. Versteigert wurden überwiegend von Besatzungsmitgliedern selbst gebastelte Dinge, wie Knotentafeln, Lampen, Wandbehänge, Geschnitztes und Geknüpftes, gedrehte Vasen aus Metall und Gedrechseltes. Mitunter kamen aber auch kleinere Werbegeschenke von Stauereien, Maklereien und Schiffshändlern unter den Hammer. Dieser Erlös wurde dann, zusammen mit dem Überschuß des Barbetriebes, zu zwei Dritteln gespendet für das damals übliche Solidaritätskonto oder einer gemeinnützigen Sache. Mit der verbliebenen Summe sponsorten wir unsere Exkursionen in das Landesinnere unserer angelaufenen Hafenstädte. Auch als Eintrittsgelder für Museen, Messen und archäologischer Stätten fand dieses Geld Verwendung. Bordbelange wurden auch berücksichtigt, wie Fotobedarf, Spiele oder Bücher für die Bordbibliothek u.ä. Wir waren also durch Eigeninitiative nicht ganz knapp bei Kasse....
Drei Preisträger wurden noch gesucht:
Das schönste und originellste Kostüm des Abends wurde nach demokratischer Abstimmung unter großem Gelächter noch gewählt. Derbe Sprüche und Frotzeleien machten die Runde. Mit der Preisvergabe war nämlich auch noch ein Pflichttanz der Preisträger verbunden, nicht mit unseren schmucken Stewardessen, sondern mit ein paar eigens dafür ausstaffierten Seeleuten. Bei einem Tango a la Altmark, kam es dann schon mal vor, dass die richtig platzierten Pampelmusen dann zur Hängebrust mutierten.
Ja und, irgendwann zog man sich dann in den Clubraum oder in die Kammer zurück. Der nächste Tag stand wieder mit Arbeit an. In den nächsten Tagen hatte man aber noch viel zu erzählen, man wartete auf die ersten Fotos und hatte seine Batterie an Lebensfreude etwas aufgefüllt.
Irgendwie freute man sich schon wieder auf den nächsten Lumpenball...
Tripolis/Libyen
Über drei Wochen nerventötende Reedezeit. Sehnsuchtsvolle Augen von Seeleuten, die dem aus dem Hafen auslaufenden Lotsenboot täglich erwartungsvoll entgegenblicken- welches Schiff holt er heute rein. Über UKW, daß sterotype "Tomorrow morning, pilot coming." Abends nochmal Anfrage, im Dunkeln lotste man dort sowieso nie, der gleiche Satz.
Hurra, Lumpenball nicht gefährdet!!
Ca.22 Uhr
Positionslichter eines Lotsenbootes am Horizont, stramm Kurs auf einen Engländer, Reedeplatz halbe Meile weg von uns. Fährt dort an die Gangway ran, dreht stramm ab, Kurs "Altmark". Auf halber Distanz dann: "Captain, german vessel Altmark, Anchor up- pilot coming." Nur ein Insider kann sich wohl vorstellen, was da in wenigen Minuten bei uns an Bord ablief. Maschine hochfahren, Manöverstation räumen, die wichtigsten Leute an Bord mussten in affenartiger Geschwindigkeit sich erstmal ihres Kostüms und Schminke entledigen. Nicht jeder schaffte das so schnell und der Lotse der dort an Bord kam, dachte wohl er ist auf einem Piratenschiff gelandet. Ja, der faßte es als Provokation auf als einer von uns noch als Pirat mit Augenklappe umherlief. Moshe Dayan war damals der meistgehaßte Mann in der arabischen Welt . Der Alte musste dafür verdammt tief in seine Bakschisch- Kiste greifen. Ja, nebenbei hatte man noch ein angezapftes Faß Bier und eine Cocktailbar, bestückt mit diversen Spirituosen. Damit sollte man nicht unbedingt in Gadaffis Machtbereich auftauchen, zum Ramadan schon garnicht...
Problem aber gelöst- geht nicht, gibts nicht!!
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