Das kleine Schiff war die "Altmark", das grosse Schiff der "Fleischdampfer", der am frühen Morgen an der Passagierkai in Alexandria festmachte- das italienische Kreuzfahrtschiff "Michelangelo". Genau an der Pier, an der wir schon häufiger lagen und das rege Treiben der an- und abfahrenden Busse zu den Sehenswürdigkeiten Ägyptens interessiert beobachteten. Fleischdampfer? Ein derber Begriff der Seeleute für diese Art Schiffe. Wer aber die vielen Reihen Liegestühle mit knackigen, gebräunten Touristinnen auf dem Deck am Swimmingpool sah..... na ja, man war lange weg von Zuhause.
Die "Michelangelo" war zur damaligen Zeit (60/70er Jahre) ein Schiff der Superlative. Über 46.000 tdw, 275m lang und fast 32 m breit, das waren schon Abmessungen. 1775 Passagiere und 775 Besatzungsangehörige waren beachtlich.In der Mittagspause wollten mein Kollege Herbert L. und ich mal eine Exkursion zu diesem Schiff unternehmen. Oft verbrachten wir damals unsere Freizeit in dem riesigen Passagierterminal. Ein alter englischer Bau, in dem man von einer Balustrade im Inneren, das rege Treiben von einer Cafeteria aus, von oben beobachten konnte. Hier konnte man auch alle wichtigen Besorgungen wie Post, Geldwechsel und Souvenirs erledigen. Wir waren immer froh, der Hektik und Hitze an Bord, kurzfristig entkommen zu sein. Hier traf es sich, daß wir ein Besatzungsmitglied der "Michelangelo" kennenlernten, das ähnliche Ambitionen wie wir hatte- Pause und Ruhe. Mit einer nur dem Seemann gegebenen Art von Kontaktfreudigkeit, stellten wir zu unserer Freude fest, es handelte sich um den Chef der Bäckerei dieses Schiffes, der aus Triest stammte und auf Grund östereichischer Wurzeln perfekt deutsch sprach. Hier holten wir uns die ersten Informationen zu diesem Schiff. Für diese Bereitschaft luden wir ihn kurzfristig zu uns an Bord ein und erfüllten ihm den angedeuteten Wunsch nach "deutschen Bier" und deftiger Kost. Fazit: Ein Gegenbesuch nach Feierabend zur Besichtigung des Kreuzfahrers war die Folge.
Es war nicht der erste Besuch auf einem Kreuzfahrer. Die alte "Stockholm" (spätere "Völkerfreundschaft") und die imposante "Achille Lauro" war schon als Vergleichsgrundlage vorhanden. Was uns aber auf der "Michelangelo" erwartete ,war schlichtweg ein Kulturschock. Ein Großteil der Passagiere war noch auf Exkursion und wir konnten das Schiff unter sachkundiger Führung von oben bis unten, in allen Preisklassen besichtigen. Es sprengte unsere Vorstellungswelt der Schifffahrt, hatten wir doch täglich auf unserem Alttonnage- Dampfer eine andere Dimension der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord. Brücke, Maschine- gigantisch. Flaniermeilen, ähnlich heutiger Fußgängerzonen, nach Klassen unterteilt, mit Shoppingmöglichkeiten jeder Art. Gemäldegalerien, Bibliotheken, museale Ausstellungen, Schönheitsalons, Kinos, Theater, Bars, Pubs, Restaurants -nichts fehlte. Damals waren überwiegend amerikanische Touristen an Bord und als wir in die laufende Theateraufführung reinschauten, hatten wir angesichts der "klunkerbehangenen" Uralttouristen das unwillkürliche Gefühl, es roch nach Geld und Reichtum. In der Luxusklasse wurden auf diesem Schiff 535, Kabinenklasse 550 und in der Touristikklasse 690 Passagiere befördert. Dafür gab es u.a. sogar unterschiedliche Swimmingpools...
Beeindruckend dann der Besuch der Borddruckerei, die gerade die Sportseite der aktuellen Tageszeitung mit den Fußballergebnissen der 14 Mannschaften der Bordliga aktualisierte. Eine bordeigene Feuerwehr mit kompletten Löschzügen und ein separates Einkaufscenter für die Besatzung- eine Stadt auf dem Wasser. Dann waren wir in der Großküche, Fleischerei, Konditorei und der riesigen Schiffsbäckerei, in denen im Drei- Schicht- Rythmus emsig gewuselt wurde. Gabelstapler waren in den Proviant- und Warenlasten im Dauereinsatz. Einfach beeindruckend.
Gegen Mitternacht fanden wir uns dann in einem riesigen Speisesaal wieder, in dem gerade die zweite Schicht von ca. 250 Stewards ihr Abendbrot einnahm. Unser italienisch- östereichischer Bäckermeister und Gastgeber stellte uns eine Kiste "Dreher-Pils" auf die Back und wir konnten mal probieren was es so im Angebot der Crew- Verpflegung gab. Toll, Wein gab es auch ausreichend . Ein paar Kollegen gesellten sich dazu, es wurde eine nette Fragerunde und die Zeit lief gegen uns, begann doch am Seemannssonntag die Arbeitszeit schon um vier Uhr. Das Problem klärte sich dann so, daß unser Gastgeber versicherte uns zum Frühstück mit Brötchen zu beliefern. Etwas skeptisch im Hinterkopf, aber wir nahmen das Angebot an. Um es abzukürzen, wir waren sehr "früh" wieder an Bord und pünktlich zum Frühstück erschienen an unser Gangway beim Wachsmatrosen, zwei Crewmitglieder der "Michelangelo" mit vier Riesentüten Brötchen und anderem Frühstücksgebäck. Mit einem kleinen Abschiedsgeschenk für den Organisator und den Überbringern bedankten wir uns. Die Besatzung der "Altmark" musste für 3 Wochen annehmen, ihr backman hat in Alexandria nächtens einen Meisterkurs für internationale Backkunst absolviert.... Etwas beeindruckt sahen wir dann, wie das Kreuzfahrtschiff am frühen Morgen majestätisch an uns vorbei auslief und schnell am Horizont verschwand.
Für mich war dieses Kreuzfahrtschiff, genau wie das Schwesternschiff "Raffaelo", optisch die Krönung einer extravaganten Schiffsform. Trotz der gewaltigen Dimensionen, sah es immer noch wie ein Schiff aus und man konnte ohne Weiteres die Konturen einer Rennyacht bzw. die Schiffsform eines Schoners, wie er vor 150 Jahren schon die Meere befuhr, klar erkennen. Wenn ich heute den Kult "Kreuzfahrtschiff", um proportionslose, unförmige Ungetüme aus Stahl mit kubischer Containerform erlebe, denke ich an diese Zeit "richtiger " Passagierschiffe zurück und an Seefahrt, wie sie nie wieder sein wird.
C.K.
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