ALTTONNAGE, von den Seeleuten wurde dieser Begriff umgangssprachlich benutzt, bei der Reederei nicht so gerne gehört. Dort war mit Ankaufschiffen und Gebrauchttonnage eher der richtige Ton getroffen. Alttonnage, damit meinte man Schiffe, die meist in den fünfziger Jahren(aber auch früher), auf den verschiedensten, meist europäischen Werften gebaut wurden. Sogar ein Liberty- Dampfer gehörte in den Anfangsjahren zum Flottenbestand der DSR. Diese Schiffe waren teilweise unter dem Zeitdruck der Notwendigkeit, den schnellen Bedarf an Schiffstonnage nach den hohen Verlusten durch den II.Weltkrieg zu ersetzen und den ökonomischen Sachzwängen dieser Jahre vom Stapel gelaufen.
Wie muss man sich diese Schiffe als Laie vorstellen?
Es waren Schiffe, auf denen die Bedingungen noch durch schwere körperliche Arbeit geprägt und das Leben an Bord- gemessen an heutigen Verhältnissen- teilweise fast unzumutbar waren. Spartanische Wohnbedingungen, Lärmbelästigungen und starke Vibriationen belasteten Körper und Psyche dauerhaft. Probleme mit dem Trinkwasser, bedingt durch Qualität und begrenzte Bevorratung, waren ebenso Begleiterscheinungen, wie die permanente "Kammerflucht"(man schlief an Deck) auf den nichtklimatisierten Schiffen in den Tropenzonen. Wer kennt das heute noch auf Seeschiffen, daß Kaffee mit Selterswasser gekocht und Wasser rationiert wird? Duschen, Wäsche waschen usw., alles litt unter den Sparmaßnahmen. Die engen Wohnkammern, oft zu zweit, zu viert oder von noch mehr Besatzungsmitgliedern belegt. Schlechte Luft in diesen, durch Körperausdünstungen in der Hitze bedingt, die Windhutze, oft ein Pappkarton oder eine Plastikpütz (Eimer) ohne Boden, sorgten im Verein mit dem rotierenden "Miefquirl", für eine schwache Luftzirkulation, die den ruhenden Seemann, der bekleidet mit Turnhose und Nierenbinde sich dort auf der Koje schlaflos wälzte und dann mit steifem Kreuz oder Nacken erwachen ließ. Der Gesundheit war das sicherlich nicht dienlich. Im Heimathafen holte man sich bei Reiseantritt, die obligatorischen Pflichtimpfungen ab- Cholera, Pocken, Gelbfieber, Thyphus u.a. für das jeweilige Fahrtgebiet notwendige Medikamentierungen.Manchmal alle an einem Tag. Nebenbei lief dann noch die langfristige Malariaprophylaxe......
Man lief u.U. bei minus 15 Grad zur Reise aus und war innerhalb von ca. 14 Tagen bei über 40 Grad plus und einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit im Fahrtgebiet angekommen.Lederjacken begannen in den Spinden zu schimmeln, die andere Wäsche fing an zu stocken.
Persönlich war das Alles verbunden, mit dem Anpassen an die jeweiligen Zeitzonen,durch das obligatorische Uhren "tschinschen". Das Wort Jetlag war noch nicht geläufig. Je nach Fahrtgebiet konnte es aber passieren, daß man innerhalb von 3-4 Monaten, 8 Stunden voraus bzw. zurück stellte, solange, bis man mitternachts hellwach war und Mittagshunger verspürte.
Die Hitze erforderte aber eher einen hohen Flüssigkeitsbedarf. 10 liter gekühlten Tee mit Zitrone trank man locker täglich weg. Auf der "Altmark" hatte der Storekeeper zu diesem Zweck eine Wasserleitung installiert ,die durch die Kühllast lief und auf dem Achterschiff als Getränkeoase diente. Dieser "Kujampel-Treff" war immer rund um die Uhr von den Sailors stark frequentiert.
Waldmeister- oder Himbeersirup mit kaltem Wasser versetzt , konnten den Durst erstmal löschen. Aber Vorsicht im Umgang , man musste schon dosieren können. WC- Besuche danach konnten in diesen Gebieten eine qualvolle,schweisstreibende Tortur sein.
Zu diesem kurzfristigen Klima- und Zeitenwechsel kamen natürlich alle spezifischen Belastungen hinzu, die den Beruf eines Seefahrers kennzeichnen. Manches allerdings, auf einem Alttonnageschiff unter erschwerten Bedingungen. Aus dieser Zeit, stammt sicherlich der typische Spruch der DSR- Seeleute: "Geht nicht, gibts nicht."
Alle Bereiche an Bord standen immer unter der Bewältigungsnotwendigkeit auftretender Schwierigkeiten im Arbeitsprozess. Ältere Schiffe sind nun mal störanfälliger, sollte man zumindest annehmen, hier wurde aber besonders viel improvisiert. Ersatzteile z.B. mussten mitunter an Bord gefertigt werden, fern der Heimat konnte keiner helfen, die Einkaufsmöglichkeiten beschränkt. Trotzdem wurde jedes Problem irgendwie gelöst und man war stolz darauf. Dieses fachliche Können des Einzelnen, verbunden mit der Liebe zur Seefahrt, war die Grundlage der Akzeptanz des Einzelnen innerhalb der Besatzung. Es entstanden Stammbesatzungen, die sich mit ihrem Schiff und seiner Spezifik identifizierten. Besatzungsmitglieder mit zweistelligen Jahreszahlen, als angegebene Fahrtzeit auf einem Schiff, heute undenkbar. Bordklima belastende Spannungen zwischen den Bereichen Deck und Maschine habe ich, abgesehen von berufsspezifischen Frotzeleien, auf diesen Schiffen nie erlebt. Liebe zum Schiff....
So ausgeprägt, habe ich die Seefahrt später auf neueren Schiffen, auch unter anderer Flagge, nie wieder erlebt.
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